150 Jahre Sozialdemokratie – Neugründung der SPD in Suhl
Rückblick auf die Sozialdemokratische Partei in Suhl und Umgebung bis in die Gegenwart
Mit dem Rückblick auf 150 Jahre Sozialdemokratie in Deutschland ist es auch unumgänglich die sozialdemokratische Entwicklung in Suhl und Umgebung zu betrachten. Während am 23. Mai 1863 in Leipzig mit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins der Grundstein für die sozialdemokratische Entwicklung gelegt wurde, ist aus Suhl Näheres erst aus 1873 bekannt. Der in Goldlauter bereits gegründete Ortsverein der Lassallianer (Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein) und die Suhler Anhänger der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei verständigten sich und unterstützen den sozialdemokratischen Kandidaten Theodor York für den Reichstag. In Gotha vereinigten sich beide Parteien 1875 zur späteren SPD. Eine große Rolle spielte im Vorfeld zur Gründung der sozialdemokratischen Partei im Raum Suhl der in Goldlauter beheimatete Maschinenbauer Christian Weiß, der die revolutionären Ideen von einem Aufenthalt aus Berlin mitgebracht hatte. Die führende Rolle von Christian Weiß ist auch daran zu erkennen, dass er während des Sozialistengesetzes Ende der 1880er Jahre im Ebersfelder Sozialistenprozess neben August Bebel und anderen führenden Sozialdemokraten angeklagt war.
Für die deutsche Arbeiterbewegung mit der Sozialdemokratie an der Spitze war Ende des 19. Jahrhunderts eine Zeit des Aufbruchs. Der jahrelange Kampf gegen die Sozialistengesetze Bismarcks hatte zu vielen entscheidenden Erfolgen geführt, wie z.B. das allgemeine Wahlrecht und der 8-Stundentag. Die Arbeiterschaft organisierte sich zunehmend in Arbeitersportvereinen und Kulturvereinen.
So wurde auch in Goldlauter am 24.10.1890 unmittelbar nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes (30.09.1890) eine SPD-Ortsgruppe gebildet. Zur Gründung traten 72 Personen in die Ortsgruppe ein. Der Vorsitzende Christian Weiß wurde als Abgeordneter in den Schleusinger Kreistag gewählt und vertrat dort jahrelang als einziger sozialdemokratischer Abgeordneter die Interessen der Arbeitnehmerschaft. Auch in Suhl wurde nach vorliegendem Archivmaterial am 17.07.1901 ein SPD-Ortsverein gegründet (siehe Bild). In der Folgezeit erstarkte die Sozialdemokratie in Suhl. 1906 wurde Ernst Heym als erster sozialdemokratischer Abgeordneter in den Stadtrat der Stadt Suhl gewählt, dem er bis 1913 angehörte. Am 17. September 1911 sprach Karl Liebknecht vor 1000 Zuhörern im Henneberger Haus. 1912 wurde der Sozialdemokrat Schulz in Suhl mit 2154 Stimmen in den Reichstag gewählt, die Liberalen hatten 787 Stimmen, die Konservativen 111 Stimmen.
Der andauernde 1. Weltkrieg mit der Folge der Verelendung der Bevölkerung führte dazu, dass sich immer mehr Menschen nach Frieden sehnten. Mit der Bildung des Spartakusbundes und der Gründung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei im Jahr 1916 wurde der Ruf nach Frieden programmatischer Schwerpunkt der Parteienpolitik. Am 27.Mai 1917 stellten Goldlauterer und Heidersbacher SPD Mitglieder den Antrag auf Übertritt in die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USDP).
Noch im gleichen Jahr 1917 traten Guido Heym und sein Vater Ernst Heym mit einem großen Teil der Suhler Sozialdemokratie in den Spartakusbund und später in die USPD über.
Am 9. November 1918 wurde die erste deutsche Republik unter Leitung von Friedrich Ebert ausgerufen. Mit der Gründung der Kommunistischen Partei am 01.01.1919 trat wiederum unter Führung von Guido Heym ein Großteil der Suhler USPD-Mitglieder in die Kommunistische Partei ein.
In den Folgejahren fehlte es nicht an Versuchen, diese junge Republik zu beschädigen. Den Versuch der reaktionären Kräfte unter Leitung des Generals Lüttwitz und des Gründers der rechtsradikalen Vaterlandspartei Kapp, die Weimarer Republik zu stürzen, schlugen die Arbeiter in ganz Deutschland und auch in unserer Region gemeinsam nieder (Kapp-Putsch vom 13. Bis 17.03.1920). Die Losung am Suhler Rathaus erinnert an diese ereignisreichen Tage: “ IM GRÜNEN WALD DIE ROTE STADT, DIE EIN ZERSCHOSSEN RATHAUS HATT‘ “
Das Spektrum der Suhler Parteien schlug sich bei den Abgeordneten in der Stadt Suhl im Jahr 1923 wie folgt nieder: SPD Abgeordnete 5, KPD-Abgeordnete 12, Abgeordnete bürgerlicher Parteien 14.
Die Parteien der Region wurden im Reichstag durch den Suhler KPD-Abgeordneten Guido Heym und den Meininger SPD-Abgeordneten Paul Voigt vertreten.
Die unterschiedlichen politischen Richtungen dieser beiden Personen waren Ausdruck der Gegensätze zwischen der kommunistischen und der sozialdemokratischen Ideologie. Während die Kommunisten den Weg zur Räterepublik und zur immer stärker werdenden Anlehnung an einen von Moskau vorgegebenen Weg gehen wollten, plädierte die Sozialdemokratie für eine parlamentarische Demokratie und für Unabhängigkeit ohne eine Bevormundung aus Moskau. Auch innerhalb der KPD gab es unterschiedliche Auffassungen zu dieser Strategie. So weilte 1926 bis 1928 Walter Ulbricht mehrere Male in Suhl, um die Suhler Kommunisten auf eine einheitliche Linie einzustimmen.
1927 kamen diese unterschiedlichen Sichtweisen offen zum Vorschein, Genossen der Suhler Kommunisten traten in den Leninbund und 1928 in die Sozialdemokratische Partei über. Unter ihnen war auch Guido Heym, der damit seinen Irrtum bei der Einschätzung der gesellschaftlichen Prozesse zugab.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 begann ein dunkles Kapitel für die Sozialdemokratie. Die SPD wurde am 22.Juni 1933 verboten. Kommunisten, Sozialdemokraten und Andersdenkende wurden verfolgt. Viele aufrechte Demokraten gingen in den Widerstand zum Nationalsozialismus. Guido Heym iniziierte nach 1933 den Widerstand aufrechter Sozialdemokraten in Suhl gegen das Nazi-Regime. Aus Suhl ließen im Widerstand 25 Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschaftler ihr Leben. Unter ihnen Guido Heym, der kurz vor Kriegsende im April 1945 von der Gestapo und SS ermordert wurde..
Nach Beendigung des 2. Weltkrieges sollte ein Neuanfang gemacht werden. Sozialdemokraten und Kommunisten wollten gemeinsam und gleichberechtigt die Zukunft gestalten und sprachen sich auf einer gemeinsamen Mitgliederversammlung von KPD und SPD am 17.11.1945 im Suhler Henneberger Haus für ein Zusammengehen aus. Von Seiten der KPD stand Fritz Sattler an der Spitze. Von Seiten der SPD waren es Karl Heim, der Sohn von Guido Heym, und Alfred Schuch. Erst am 22. April 1946 wurde in Berlin nach einer Verzögerungstaktik durch die russischen Besatzer die SED (aus KPD und SPD) gegründet. Aber schon bald zeigte sich die dominierende Rolle der Sowjetunion, die die Unterordnung sozialdemokratischer Ziel unter das Diktat Moskaus anstrebte. Daraufhin verließen Hunderte Sozialdemokraten ihre Partei. Bestrebungen einer Neugründung wurden als Sabotage verteufelt und unter Strafe gestellt. So kam es, dass viele inhaftiert wurden.
Viele Bürger in Ostdeutschland verfolgten in den folgenden Jahren mit Interesse den Weg der Sozialdemokratie in den alten Bundesländern. Die Ära Willy Brandt mit seiner Öffnung nach Osten und den Slogan „Mehr Demokratie wagen“ waren Hoffnung für viele Bürger Ostdeutschlands.
Erst mit der politischen Wende 1989 lebte in den ostdeutschen Ländern die Sozialdemokratie wieder auf und es kam zu Neugründungen der Sozialdemokratischen Partei. In Thüringen wurde die SPD am 27. Januar 1990 im Tivoli in Gotha gegründet.
Neugründung der Sozialdemokratischen Partei in Suhl
Im November 1989 wurde auch in Suhl die SPD neu gegründet, nachdem sie seit 1946, also über 40 Jahre, von der SED vereinnahmt worden war.
Die Neugründung einer sozialdemokratischen Partei in Suhl nach der Wende erfolgte am 21.11.1989 in Suhl-Albrechts, zunächst unter der Bezeichnung SDP. Die Neugründung der Sozialdemokratischen Partei in Suhl war eine Folge der im Vorfeld dieses Datums umfangreichen Aktivitäten sozialdemokratisch orientierter Bürger unserer Stadt. Dieses denkwürdige in die Zukunft gerichtete Ereignis reihte sich ein in die Geschehnisse der Wendemonate 1989 und erfolgte nach vielen Gesprächsrunden, Friedensgebeten, Treffen verschiedener Menschengruppen etc. Bereits am 12. November 1989, einen Tag nach einer Großveranstaltung der SED, trafen sich in Mäbendorf die Bürger Lutz Stiehler, Achim Ruber, Michael Dietz und Rolf Rose mit dem Ziel, in Suhl die SPD zu gründen. Bei einer Demonstration am 18. November 1989 wurde zu einer Gründungsveranstaltung für den 20.11. in die katholische Kirche in Zella-Mehlis eingeladen. Die Grundsätze für eine solche Neugründung wurden hinreichend diskutiert, so dass die tatsächliche Neugründung dann am 21. November 1989 im Pfarrhaus in Albrechts stattfand.
Unter den Frauen und Männern der ersten Stunde in Suhl waren Lutz Stiehler, Roland Deschler und Wolfgang Dietz. Aus der ersten freien Wahl zur Stadtverordnetenversammlung Suhl 1990 gingen die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten Swetlana Nimmer, Roland Deschler, Klaus Goedecke, Wolfgang May, Dr. Walter Hauk, Rüdiger Müller, Jürgen Gerbig, Horst Weltzien, Hartwig Tamke und Gerald Riehm als Abgeordnete hervor. Mit der Neugründung hat sich die junge (alte) Partei in die Reihe derer gestellt, die eine neue freiheitliche Ordnung in der „noch DDR“ aufbauen wollten. Der Weg war nicht leicht und viele Probleme gestalteten sich schwieriger als gedacht, so dass einige enttäuscht und frustriert die Partei wieder verlassen haben. Zurückblickend müssen wir aus den Erfahrungen feststellen: eine Partei unter den Bedingungen einer vollkommen neuen Ordnung und der engen zeitlichen Abläufe aufzubauen war eine große Herausforderung, aber auch eine Chance. Dass aus heutiger Sicht einiges hätte anders angegangen werden müssen um noch mehr Menschen anzusprechen und für die Arbeit der neuen Partei zu begeistern, ist eine Erkenntnis daraus. Da hatten es die ehemaligen Blockparteien CDU und die Liberalen, sowie die aus der SED hervorgegangene PDS einfacher, die auf bereits vorhandene Mitglieder und Strukturen aufbauen konnten.
Die Fülle der auf diese neue Partei zukommenden Entscheidungen in der neu aufzubauenden Demokratie stellten die Parteimitglieder und Anhänger oft vor harte Bewährungsproben. Aus heutiger Sicht stellen die Parteimitglieder und Anhänger der Suhler SPD fest, dass es gut war diesen Weg gewählt und mit zum Aufbau einer demokratischen Ordnung beigetragen zu haben. Auch wenn sich mancher die Entwicklungen etwas anders vorgestellt hatte und da sind zuallererst die platt gemachten Betriebe und die relativ hohe Arbeitslosigkeit zu nennen.
Aber die SPD in Suhl wollte und hat in der Stadt am demokratischen Prozess aktiv teilgenommen und im Stadtrat im Interesse der Bürger viele gute Vorschläge und Ideen eingebracht. Gerade der Sozialbereich, der von 1994 bis 2006 in das Ressort von Bürgermeister Rüdiger Müller gehörte, wurde in vielen Bereichen durch sozialdemokra-tisches soziales Denken geprägt, ob das die Jugendeinrichtungen, Kindergärten, Schulnetz-konzeption, die sozialen Leistungen für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen oder den Aufbau der Selbsthilfebewegung betrifft.
Da in Suhl eine starke PDS und später Linke, überwiegend resultierend aus dem Status der Stadt Suhl zu DDR-Zeiten, ein nicht unerhebliches sozialdemokratisches Wählerpotenzial vereinnahmt hat, hat sich die SPD immer behaupten müssen. Sie musste nach der Neugründung ihr Profil finden, leider waren da viele sozialdemokratisch denkende Wähler auch durch eine gewisse Verunsicherung nach der Wende, dem linken Flügel zugewandt. Bei den Kommunalwahlen konnte sich die SPD seit 1994 bis heute in der Stadt Suhl immer als drittstärkste Kraft behaupten, obwohl z.B. 1994 9 Parteien und Wählergemeinschaften angetreten sind, 1999 waren es 4, 2009 waren es 5 und 2009 sind 6 Parteien und Wählergemeinschaften angetreten. Das soll hier nicht besonders hervorgehoben werden, denn wichtig ist, wie aktiv setzt sich die SPD ein und was erreicht sie für die Stadt und ihre Bürger. Und da können die SPD-Fraktion und die zwei als Ortsteilbürgermeister tätigen Mitglieder, bis heute auf gute Aktivitäten und Ergebnisse blicken, z.B. bei der Mitarbeit an der Stadtentwicklung, Gewährleistung der technischen und sozialen Infrastruktur in der Stadt und in den Ortsteilen, Schaffung bedarfsgerechter Wohnsituation, Erhalt von Arbeitsplätzen und sozialer Netze usw. Immer getragen davon, für die Stadt und ihre Bürger gute Lösungen zu schaffen und die Grundideen der Sozialdemokratie Freiheit, Solidarität, Demokratie nicht aus dem Auge und dem Sinn zu verlieren.
Karin und Rüdiger Müller